Mitri Raheb

Rede zur Verleihung des Aachener Friedenspreises



Ich muss gestehen: Es war für mich eine Überraschung, in Deutschland einen Friedenspreis zu bekommen. Ich gehöre gerade nicht zu jenen palästinensischen Persönlichkeiten, die ständig durch Deutschland marschieren, in Akademien auftreten, und Leute unterhalten, bekehren oder gar behaupten, Isaaks mit Ismaels Nachkommen versöhnen zu wollen. Und obwohl ich zu den Gründungsmitgliedern des jüdisch-christlichen Dialogs in Israel/Palästina gehöre, ist mir dieser Dialog mit der Zeit jedoch langweilig geworden. Meine Hauptaufgabe in den letzten zehn Jahren habe ich innerhalb Palästinas gesehen. Die Menschen dort sind es, die mich am meisten brauchen. Es ist ein Novum, dass eine deutsche Organisation ihren internationalen Preis an zwei Organisationen in Israel und Palästina vergibt, die ihre jeweilige Aufgabe vor allem als nach innen gerichtet verstehen und ausüben. Das können wir nicht genug schätzen.

Ich war überrascht, einen so renommierten Friedenspreis zu bekommen, weil ich selbst in letzter Zeit seltener über den Frieden rede. Mit der Zeit habe ich eine Allergie, was das Wort Frieden angeht, entwickelt. Es wird so viel über Frieden geredet, und doch so wenig auf allen Seiten dafür getan. Ich bin der Meinung, dass wir in einem ähnlichen Kontext leben wie der Prophet Jeremias, als alle schrien "Friede. Friede", und der Prophet feststellen musste: "Und es ist doch kein Frieden" (Jeremia 6,14). In Palästina haben wir gelernt, es kommt eben nicht so sehr auf das an, was wir hören, sondern auf das, was wir an Fakten vor unseren eigenen Augen täglich entstehen sehen: Hohe Mauern, die um unsere Städte gezogen werden; und neue Siedlungen, die uns unseres eigenen Landes und unserer Wasserreservoirs, und damit unserer Zukunft, berauben. An runden Tischen streitet man, ob es besser wäre, einen einzigen Staat oder zwei Staaten zu haben. Wir sehen aber, wie die Westbank wie ein Stückchen Emmentaler Käse geformt wird, wo die Siedler den Käse bekommen und die Palästinenser in die Löcher verdrängt werden. Von Gaza zu reden, macht die Sache nur noch trauriger. Es versteht sich von selbst: das kann nicht gut gehen. Dieser Weg führt ins Verderbnis. Ein Ausweg scheint nicht in Sicht zu sein.

Was sagte der Prediger (3, 1 + 8): "Ein Jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit". An Zeiten des Friedens kann ich mich aber überhaupt nicht erinnern. Ich bezweifle, dass irgendeiner meiner Vorfahren Friedenszeiten überhaupt gekannt hat. Jerusalem scheint in den letzten 3000 Jahren nicht begriffen zu haben, "was dem Frieden dient". Alle wünschen Jerusalem Glück; Millionen beten für Frieden im Heiligen Land, politische Delegationen aus allen Ecken der Erde pilgern täglich nach Jerusalem, um etwas für den Frieden in der Region zu tun. So begründen sie jedenfalls ihre Reisekosten. Und dennoch waren wir nie vom Frieden so weit entfernt wie heute. Was tun also in so einem Kontext? Was tun, wenn alles so aussichtslos aussieht?

1. Die einen sagen: wir müssen das "politische Spiel" weiterspielen und am Ball bleiben. Dieses Spiel entlastet die israelische Regierung von weiterem politischem Druck und gibt ihr den Anschein, über Frieden verhandeln zu wollen. Die palästinensische Autorität prostiert von diesem Zustand, indem sie "im Spiel" und salonfähig bleibt. Für die Internationale Gemeinschaft ist es einfacher, zur Kasse gebeten zu werden, als die Courage zu haben, das Ende der Besatzung zu erzwingen. Den Konflikt gilt es nicht so sehr zu lösen, sondern zu managen. Das ist der Tenor des politischen Spiels.

Wir haben die absurde Situation, dass wir zu viel Bewegung haben und zu wenig Wirkung; zu viel Politik, diese ist aber für die "Polis" total irrelevant. Das ist der Kontext, in dem wir unsere Arbeit verrichten: Wir ersticken an politischem Gelaber, als ob Jesus die Friedensschwätzer seliggepriesen hätte und nicht die Friedensstifter. Und wenn Tony Blair als der große Friedensfürst im Heiligen Land gefeiert wird, nachdem er den Irak-Krieg mitverantwortet hat, dann bleibt nicht mehr viel zu sagen. Gott sei Dank, dass unser Friedensfürst vor zweitausend Jahren gekommen ist, so dass wir auf einen anderen nicht zu warten brauchen. Alle warten auf den, der da kommen soll, alle warten, dass die Friedenszeit anbricht. Wir sagen, zu warten ist Zeit zu verlieren; Chancen zu verpassen und sich der Verantwortung zu entziehen.

Wir haben uns vor Jahren entschieden, nicht so sehr Politik auf diesem Niveau betreiben zu wollen, sondern wir wollten uns um unsere "Polis" kümmern. Deshalb waren wir in den letzten Jahren damit beschäftigt, konstruktive Fakten in unserer Stadt zu schaffen, tragfähige Institutionen der zivilen Gesellschaft zu gründen (eine Schule, zwei Kulturzentren, eine Fachhochschule, und ein Gesundheits- und Erholungszentrum), um dadurch Menschen von Zuschauern zu Akteuren zu verwandeln. Heute muss man feststellen, wir haben für die Stadt mehr getan als jede andere politische Partei und sogar mehr als die Stadtverwaltung. Wir haben uns eine unmögliche Mission vorgenommen: wir wollen heute, trotz Besatzung, den Traum vom Morgen vorleben. Zu warten, bis die Zeit des Friedens anbricht, können wir uns nicht leisten. Wir haben heute einen Vorgeschmack zu erzeugen, wie es sein wird, wenn wir "sein werden wie die Träumende[n]" (Psalm 126,1). Wir wollen nicht predigen, wie Palästina aussehen könnte, wenn die große Friedenszeit angebrochen ist, sondern schon heute inmitten der heutigen, absurdesten Situation zeigen, wie Palästina aussehen könnte, sollte und müsste, wenn eine Vision, der Wille, der Glaube und das richtige Management der Ressourcen da wären. In dem Zusammenhang haben wir uns auch geweigert, uns an jener Industrie zu beteiligen, die aus uns Palästinensern nur Opfer macht. Die größte Versuchung für uns Palästinenser wäre zu meinen, mit Israel darum konkurrieren zu wollen, wer das größere Opfer sei. Wir sind in der Tat die Opfer der Opfer, das ist aber kein Trost. Darin sollen wir uns nie zu wohl fühlen. Wir sollten Israel das Monopol der Opferrolle überlassen. Wir sind mehr als Opfer. Wir sind Akteure, die Verantwortung übernehmen wollen.

2. Was tut man, wenn alles so aussichtslos scheint? Wenn der Glauben an eine irdische Gerechtigkeit so aussichtslos erscheint? Viele suchen dann in der Religion "eine Gerechtigkeit, die von oben kommt". Und man macht sich zu deren Anwalt bzw. Richter und Vollstrecker. Wir haben nicht nur zu viel Politik, sondern auch zu viel Religion; so viel, dass Menschen daran ersticken. So viel, dass Gott selbst davon die Nase voll hat und eine ähnliche Sprache spricht wie damals zu unserem Nachbarn Amos: "Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht mehr hören". Zu viel Religion und zu wenig Spiritualität. Religion hat sich zu sehr mit Nationalismus vermengt. Gott wird nach nationalen Bildern geformt. Das Heilige geht verloren im Kampf um das Stückchen Land. Was nützte es einem Volk aber, wenn es das ganze Land gewänne und dabei seine Seele verlöre? Was bleibt von Religion übrig, wenn Gewalt sich in ihrem Denken eingeschlichen hat, und wenn das Militär wie ein Götze verehrt wird? Auf die Worte der Propheten gilt es zu hören: "Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen." (Zacharias 4,6). Deshalb haben wir mit unserer Arbeit in den letzten zwölf Jahren so viel in den Bereich Kultur investiert. Was für eine Kultur (auch politische Kultur) wird in diesem Land zu finden sein, was für ein Geist wird hier herrschen, und was für eine Lebensqualität wird jemals hier Fuß fassen können? Das ist eine ganz entscheidende Frage. Daran wird sich entscheiden, ob wir "das verheißene Land" werden, oder ob wir das Land bleiben, das seine Kinder frisst (Numeri 13,32).

3. In einer aussichtslosen Lage haben wir die unmögliche Aufgabe, jetzt schon Räume der Hoffnung zu schaffen. Viele können heute diese Räume nur nach dem Tod erwarten, und können sich kein lebenswertes Leben vor dem Tod vorstellen. Unsere wichtigste Aufgabe kann nicht darin bestehen, diese Menschen auf morgen zu verströsten. Optimistisch bin ich nicht und kann auch niemanden dazu überreden. Optimismus hat aber mit Hoffnung nichts zu tun. Optimismus hat mit Optik und mit guten Aussichten etwas zu tun. Hoffnung jedoch ist, was wir heute tun: Es ist, zu wissen, dass die Welt morgen unterzugehen droht, und dennoch heute in den Garten zu gehen und einen Olivenbaum zu pflanzen. Denn wenn wir heute in dieser trüben Wetterlage diesen Baum nicht pflanzen, wird es morgen noch weniger geben. Aber wenn wir heute einen Olivenbaum pflanzen, wird es morgen Schatten geben, unter dem die Kinder spielen können, dann wird es Öl geben, das die Wunden heilt, und es wird Olivenzweige geben, mit denen wir winken können, wenn der Friede kommt.


Pfarrer Dr. Mitri Raheb setzt sich in Bethlehem für das friedliche Zusammenleben von Juden und Palästinensern ein.